Hypnosystemische Angsttherapie
Viele Klient*innen kommen zu mir in die Praxis und wollen ihre Angst loswerden. Angst vor Prüfungen, Angst, vor die Tür zu gehen, Flugangst, diffuse Zukunftsängste, Angst vor hohen Brücken, die Liste lässt sich fast beliebig lang fortsetzen. Wovor sie Angst haben, ist so unterschiedlich, wie die Menschen, die mit diesem Anliegen Hilfe suchen. Die Homepage phobien.ndesign.de listet knapp 600 Ängste, Wikipedia kommt auf immerhin 120. Innerhalb eines Jahres leiden in Deutschland ca. 15% der Bevölkerung an einer Angststörung. Warum sind wir Menschen so sehr auf Angst programmiert?
Evolution der Angst
Zur Beantwortung dieser Frage lohnt es sich, weit in die Vergangenheit zu reisen. Denn gerade aus der evolutionären Perspektive ergeben sich zahlreiche Hypothesen, weshalb Angst ein so wichtiger Bestandteil unseres Wesens geworden ist. Wir alle sind Nachfahren von Angsthasen. Angst hat sich als Überlebensvorteil für unsere Spezies erwiesen. So hatten unsere affenähnlichen Vorfahren Angst, von Bäumen zu fallen, auf denen sie gelebt haben - heute haben viele Menschen mit Höhenangst zu tun. Vor drei Millionen Jahren hatten wir dann als aufrecht gehende Wesen neben entscheidenden Vorteilen (mehr Überblick, freie Hände) auch einen absoluten Nachteil in der afrikanischen Steppe: Wir waren weithin sichtbar und für jedes jagende Tier eine leicht zu erspähende Beute. Heute haben viele von uns ein ungutes Gefühl, über einen offenen Platz zu laufen. So lassen sich die meisten unserer heutigen Ängste einer Stufe in unserer Evolution zuordnen. Immer geht es dabei um die Grundangst, zu sterben, schwer verletzt zu werden oder einen massiven Kontrollverlust zu erfahren. Unser Angstsystem hat sich somit dankenswerterweise seit Millionen von Jahren um unser Überleben gekümmert.
Angst oder Furcht?
Nun leben wir in einer Welt, in der es nur noch selten lebensbedrohliche Situationen gibt. Und trotzdem (oder gerade deswegen?) haben wir häufig mit der Angst zu tun. Der dänische Philosoph Soeren Kierkegaard hat eine wichtige Unterscheidung zwischen Angst und Furcht beschrieben. Furcht bezieht sich auf eine tatsächliche und aktuelle Bedrohung: Wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf uns zurast, ist es klug, sich zu fürchten und damit alle körperlichen Ressourcen zur Verfügung zu haben, die uns schnellstmöglich fliehen lassen. Dazu gehört eine eingeschränkte Wahrnehmung („Tunnelblick“), Adrenalin flutet unsere Körper und stellt u.a. Energie in der Skelettmuskulatur zur Verfügung. Was hingegen ist Angst? Angst beschreibt die gleichen körperlichen Reaktionen, die gleichen Mechanismen, aber als Reaktion auf eine rein vorgestellte Situation in der Zukunft. Wir stellen uns zum Beispiel eine Prüfungssituation vor und unser Körper reagiert ähnlich, als würde uns in diesem Moment eine Kollision mit einem Auto bevorstehen oder als wenn wir dem Säbelzahntiger in der Steppe ausgesetzt wären.
In seiner eigenen Logik reagiert der Körper damit sehr adäquat auf eine Bedrohung – er unterscheidet nur nicht zwischen tatsächlicher und vorgestellter Gefahrensituation. Unser hirngeschichtlich junger Neokortex produziert damit einen Horrorfilm, den unser Organismus dann als Bedrohung erkennt und entsprechend reagiert. Aber wenn Angst sich nur auf vorgestellte und nicht auf aktuelle Bedrohungen bezieht, wieso hat sie sich dann evolutionär durchgesetzt? Nun, es gibt durchaus Bedrohungen, die tatsächlich sind – aber eben nicht aktuell. Etwa die Bedrohung, in naher Zukunft nicht genug Nahrung zur Verfügung zu haben. Oder die diffuse Bedrohung durch eine ansteckende Krankheit. Gegen solche Bedrohungen würde Furcht allein nichts ausrichten. Aber eine Angst, die sich auf die vorgestellten Folgen dieser Bedrohung in der Zukunft richtet, kann Leben retten.
Das Problem ist nur, dass aktuelle Bedrohungen viel eindeutiger zu erkennen sind als vorgestellte. Was wir als Hinweise für eine mögliche Gefahr in der Zukunft interpretieren, hängt von vielen Faktoren ab: etwa von unserem Charakter, unseren Erfahrungen und unserem Wissensstand. Aber nicht unbedingt von der reinen Vernunft. In diesem Zwiespalt stehen meine Klient*innen und wir alle wohl immer wieder: „Ich weiß, meine Angst ist irrational, aber das hilft mir auch nicht gegen die Angst“ ist ein sehr häufig benutzter Satz, der diese Diskrepanz aufzeigt.
Reaktionen auf Angst
Nun ist die Unbestimmtheit von Angst an sich noch kein Problem. Den Gedanken „Ich habe Angst vor einer Prüfung“ kennen wir aus unserem eigenen Leben. Aber nicht alle entwickeln aus diesem Satz ein Problem mit Angst. Entscheidend sind die Lösungsstrategien, die daraufhin angewendet werden. Wenn wir auf den Angstgedanken und die entsprechende Reaktion des Körpers mit Schulterzucken reagieren und denken: „Wird schon werden, dann hab ich halt mal Angst“ oder „Stark, dann darf ich mich mal wieder richtig aktiv und lebendig fühlen" dann werden wir sicherlich keine Angststörung entwickeln. Wenn wir aber versuchen, in einen aussichtslosen Kampf gegen die Gedanken, Gefühle und Körperreaktionen einzusteigen, dann kreieren wir uns damit die beste Grundlage zur Entwicklung einer Angststörung: Wir bekommen Angst vor der Angst.
Doch wie ist das zu erklären? Milton Erickson hat den Satz geprägt: „Wenn du etwas stärken willst, bekämpfe es!“ Etwas genauer beschreibt es Gregory Bateson: „In keinem [psychischen] System kann ein Element dieses Systems über ein anderes herrschen.“ Übersetzt auf den Umgang mit der Angst bedeutet dies: Kein Anteil in uns kann Kontrolle über die Angst ausüben. Der Kampf gegen die Angst ist nicht zielführend (es sei denn, das Ziel ist die Entwicklung einer Angststörung). Dieser Kampf wird in der Realität aber sehr häufig geführt. Mögliche Folgen davon können schädigende Verhaltensweisen sein, wie Vermeidung von angstauslösenden Situationen, Alkoholkonsum, exzessives Arbeiten und Sport treiben, Sinnentleerung oder Wut.
Angsttherapie
Nun gibt es Therapeut*innen die sagen: Da machen wir eine Expositionstherapie und dann haben wir den Kampf gegen die Angst gewonnen. Das funktioniert sehr gut! Aber nach einer Weile taucht die Angst bei vielen Menschen in anderen Situationen wieder auf. Immer wieder kommen Klient*innen zu mir und erzählen: „Die Expositionstherapie hat mir meine Flugangst genommen, aber jetzt habe ich auf einmal Angst, Aufzug zu fahren.“ Da sind in der vorangegangenen Therapie die grundsätzlichen Muster im Umgang mit der Angst nicht adressiert worden. Den Kampf gegen die Angst gewinnen wir höchstens auf die ganz kurze Distanz. Mittel- und langfristig müssen wir die Angst annehmen, sie integrieren, ja im besten Fall als unseren Freund dazugewinnen.
An dieser Stelle bietet der hypnosystemische Ansatz eingängige und effektive Methoden, in einen guten Kontakt zu unseren Ängsten zu kommen und in der Folge gut mit ihnen leben zu können, ohne dass wir sie weiter bekämpfen müssen. Wir können Kontrollversuche aufgeben und unseren Frieden mit unseren ungeliebten Anteilen schließen.
Mut und Lebendigkeit
Kontrolle und Sicherheit, welche die meisten von uns in ihrem Leben erreichen möchten, kann es in letzter Konsequenz nicht geben. Wir sind gezwungen, mit der Unsicherheit zu leben. Oder, um es mit Osho zu sagen: Wir werden erst durch die Unsicherheit lebendig. Kontrolle und Sicherheit haben wir nur bei toten Einheiten: Wenn wir den Lichtschalter drücken, geht das Licht an. Wenn wir ihn wieder drücken, geht das Licht aus. Wenn unser Leben in diesem Sinne funktionieren würde, könnten wir sofort durch tote Maschinen ersetzt werden. Doch wenn wir den Mut finden, die Unsicherheit zuzulassen, gewinnen wir Lebendigkeit (wieder). Denn Unsicherheit bedeutet zugleich Entscheidungsfreiheit. Die Angst zeigt uns in diesem Verständnis Situationen auf, in denen wir die Chance haben, uns lebendiger, freier zu fühlen. Damit wird Angst zur lebensphilosophischen Herausforderung, sie stellt uns die Frage: Wie will ich leben? Dahin kann die Angst uns führen. Und dafür können wir der Angst vielleicht sogar jetzt schon ein kleines bisschen dankbar sein.